Klaus Armbruster: Zu den Arbeiten von Rolf Lieberknecht

Präzision ist erforderlich, beim Reflektieren einer so präzisen Arbeit und Achtsamkeit ist angebracht beim Gebrauch von Worten angesichts dieser scheinbar wie von selbst in die Welt gekommenen und ganz sich selbst genügenden  Skulpturen eines Künstlers, der  im Kleinen wie im Großen seinen Ausdruck sucht, Form und Funktion im Kleinen wie im Großen zu fragiler Schönheit balanciert.

Ganz selbstverständlich in die Welt gekommen sind  diese kinetisch – skulpturalen Wesen in Wahrheit aber nicht. Sie sind, wie alle künstlerischen Äußerungen, auf  menschliche Kommunikation, auf Sehen, Zeigen und Gesehenwerden, auf Tat und Beobachtung, auf Voraus – und Nachdenken angewiesen und vielfach rückbezüglich aus alledem entstanden.
Ja,  ich denke, dass Rolf Lieberknecht es darauf anlegt, den Betrachter seiner Werk einzuladen zur Teilnahme an einem schöpferischen Prozess, der vom Künstler begründet  ausgelöst, sich erst durch Betrachtung sublim entfaltet und verwirklicht.

Erst durch unser Wahrnehmen kommt vollends in die Welt und genügt sich selbst, was er geschaffen hat.
Lassen Sie mich dem Wesen dieser Arbeit   nachspüren in Dimensionen, die sich mirin freier Assoziation beim Anschauen erschlossen.

Skulptur
Figur
Zeichnung
Zeichen
Linie
Fläche
Ruhe …

Zeit
Raum
Bewegung
Zeit-Raum-Bewegung
Bildertanz
Film
Vergänglichkeit …

Unendlichkeit
Natur
Licht
Schatten
Material
Konstruktion
Handwerk …

Drei mal sieben Dimensionen sind in loser Reihe aufgekommen und noch viele andere individuelle Resonanzen seiner Arbeit klingen an, bringen unvorhersehbar und lebhaft Wechselwirkungen hervor, und sind doch konkret und nachvollziehbar gebunden in jeder einzelnen Figur.

Skulptur – Figur – Zeichnung

Hier zeigt sich die im wahrsten Sinn des Wortes gewaltige Spannweite im Schaffen von Rolf Lieberknecht.
Wer seine haus – und baumhohen windkinetischen Stahlskulpturen in städtischen und naturnahen Außenräumen gesehen hat, wird dort bei aller Materialwucht, Statikrelevanz und ausgefeilter Lagertechnik die gleiche Anmut, Stille und luzide Einfachheit gefunden haben, die auch die hier gezeigten kleineren und kleinsten Arbeiten auszeichnen.
Dennoch würde keiner, der zu einer der großen Stahlskulpturen aufschaut und deren freies Spiel in Wind und Sonnenlicht, Wolkenzug und Architekturumfeld verfolgt, an Zeichnung denken, zu groß die Wucht metallischer Präsenz.
Doch im Maß des Innenraums, wo Materialien sich federleicht im Nichts verlieren, wo zarte Schattenlinien an den Wänden mit den Figuren grauwertig gleichgewichtig sich verflechten, wird die Dimension von Zeichnung evident.
Groß – und Kleinskulptur so weit gespannt und doch in Anmut, Stille, Einfachheit verwandt, sind ganz und gar dem Ort bestimmt, für den sie entworfen sind.

Ruhe – Bewegung – Zeit

Ruhe ist nicht der Zustand, für den die Skulpturen geschaffen sind und doch verharren sie, wenn kein Luftstrom auf sie wirkt, in schwerelos erwartungsvoller Ruhe. Ist diese Ruhe gestalterischer Ausgangspunkt, Ziel der Konzeption, erwartete Idealform oder nicht vermeidbar Zwischenfall?
Im schönen Doppelkatalog zur Ausstellung des verstorbenen Konrad Wohlhage und Rolf Lieberknechts, 2007 in der Berliner Galerie Inga Kondeyne, stehen den Abbildungen der Zeichnungen Wohlhages  Fotografien von Lieberknechts Skulpturen gegenüber wie dies bei dreidimensionalen Arbeiten unumgänglich ist.
Im Anhang bedankt sich der Künstler bei dem Fotografen Udo Hesse ( Zitat ) :
 „ für sein Talent, meine Skulpturen so sensibel und einfühlsam in das Medium Fotografie zu übertragen.“
Dies ist Udo Hesse so überzeugend gelungen, dass beim Betrachten der durch Fotografie in Ruhezustand versetzten Skulpturen in mir die Frage aufkam, ob den für das Spiel der Bewegung und unendliche Formenvielfalt entwickelten Skulpturen nicht doch eine von Rolf Lieberknecht gesuchte und bewusst oder  unbewusst gefundene Idealform innewohnt, die in einer der möglichen Ruhestellungen zum Vorschein kommt, als solche vom Fotografen aufgespürt, in ein entsprechendes Format gesetzt, und nun im Bild erfasst, der Vergänglichkeit enthoben?

Und doch ist Ruhe nicht der Zustand, für den die Skulpturen geschaffen sind, sie sind der Bewegung gewidmet, ausgelöst durch Wind, Raumluftdynamik oder Atemhauch. Erst im Fluss von Ruhe und Bewegung entfaltet ihre Aura sich, und da kommt unausweichlich Zeit als Dimension ins Spiel: Der statuarischen Ruhe zeichenhafter Ausgangsposition ist die choreografische Struktur zukünftiger Bewegungen so eingeschrieben, dass der Begriff Skulptur das Wesentliche zu fassen nicht mehr vermag.

Wir finden uns, sobald Bewegung anhebt, wie in den zeitbasierten Künsten Film, Tanz, Musik in rhythmisch gestaltete Zeiträume versetzt, die wir jedoch nur dann erfahren können, wenn wir selbst mit auf die Zeitachse gehen und die im Lauf der Zeitaus der Bewegung entstehenden Ereignisse von Formen -, Licht – und Schattenspiel auf uns wirken lassen.

Material – Konstruktion – Handwerk

Rolf Lieberknecht lädt uns – wie   eingangs schon bemerkt – als  Betrachter in die Vollendung seines künstlerischen Werkes ein und setzt damit den Weg fort, den er schon als junger Künstler auch an der Seite Otto Pienes gegangen ist. Mit Land Art  und  Sky Art Projekten, mit schwebenden und fliegenden Installationen, Raum interpretierenden Laser-Strahlen, archaisch schweren Wasser-Stein Skulpturen erforscht und reflektiert er die Urelemente Licht, Luft, Erde und  Wasser.

Wie bedeutend in seinem Arbeitsleben später große, luftbewegte Stahl-Skulpturen für ihn werden würden, wusste er 1972 – 73  vielleicht noch  nicht, als er aus Stahl betörend schöne kinetische Konstruktionen und Knoten zur Bewegungsübertragung baute, die sich auf seiner web-site finden lassen und sich im Rückblick nahtlos wie Vorboten späterer Taten in die Linie einer künstlerisch konsequenten Arbeit fügen. Ich nehme diese frühe Arbeit als Beleg dafür, dass auch sein Hang zur Perfektion, den er selbst immer wieder kritisch hinterfragt, bei ihm schon früh ästhetisch produktiv geworden war und bis heute eine der Kraftquellen seiner Arbeit geblieben ist.
 
Doch erst der Meister fand den Weg zur kleinen Form, die Material- und Technikaufwand nicht mehr braucht und doch so vollkommen, auch handwerklich vollkommen ist. Groß oder klein, technisch aufwändig oder schlicht, was er mit Kopf und Händen in die Welt bringt,  bewegt sich im Atem des beseelten Lebens.

Klaus Armbruster im Januar 2009 für Rolf Lieberknecht