Ohratorium, 1994

Eine Klanginstallation mit einem Hummelvolk in: Abraum, Zeche Zollverein, Essen, 1994
6,13 x 10,00 x 10,00 m

Der Ort

… eine Halle, in der zu Zeiten des Zechenbetriebes Luft zu Druckluft komprimiert, ein größeres Volumen zu einem kleineren verdichtet wurde. Teile der gewaltigen Kompressionstechnik sind aus Liebe zum Denkmal erhalten geblieben. Überwiegend ist die Kompressorenhalle jedoch heute leer und in der für Zollverein typischen Weise knapp, aber gewissenhaft und mit Gefühl für das Original restauriert, 35m lang, 23m breit und 19m hoch, dazu hell vom Tageslicht und so „hallig“ wie eine Kirche.
Zur künstlerischen Absicht der Klanginstallation Ohratorium gehört es, diese visuelle räumliche Leere zu belassen und nicht viel Objekthaftes hinzuzufügen. Dem Auge wird also wenig mehr geboten als das Vorhandene, hinzu kommen einige für den Inhalt des Konzeptes wesentliche und erforderliche Elemente, dazu technisch Notwendiges. Dreidimensionale Klangereignisse werden einen imaginären Raum abbilden. Die Wahrnehmung ist vorwiegend auf das Ohr ausgerichtet.

Die Elemente

An zentraler Stelle ist ein kleines maßstäbliches Architekturmodell der Halle aufgestellt. Als Haus im Haus, gebaut aus gläsernem, transparentem Material, steht es augenhoch auf einem massiv anmutenden Sockel und gibt den Blick frei auf sein Inneres, das Nest eines Hummelvolkes mit einer Königin und siebzig Untertanen. Ein architektonisches Terrarium also, in dem die Hummeln unermüdlich an ihrem Bau arbeiten, sich von Zuckerwasser ernähren oder auch herausfliegen und in der Spontanvegetation der Zechenumgebung Blütenstaub sammeln, für sich, die Königin und die Brut. Hummeln können sich zwei Kilometer im Umkreis ihres Nestes orientieren, sie finden also auch den Weg zurück.
Drei Zustände von Raum sind einander zugeordnet: der real vorhandene, um uns präsente, offen und bereit, unsere Handlungen aufzunehmen, dann der auf Modellmaßstab verdichtete, in den wir uns hineindenken, und schließlich die kuppelförmige Architektur des Hummelbaues, ein Universum für sich, eine Innenwelt, auch die eigene …
Das gläserne Modell bildet den Mittelpunkt einer halbkugelförmigen Anordnung von sechzehn im Raum verspannten Lautsprechern. Diese Klangkuppel nimmt in der Geometrie der Halle das größtmögliche Volumen ein, während das Modell ihre verdichtete Version im Maßstab 1:66 ist. Der Klang fliegender Hummeln, so wie er im Inneren des kleinen Modells ertönt, wird auf den Maßstab der Halle übertragen und von den Lautsprechern der Klangkuppel dreidimensional wiedergegeben. Man blickt hinein in die kleine Welt der Hummeln, hört sie mehrfach größer und denkt sich selbst hummelgroß. Eine kleine Welt sehen und eine größere hören. Die natürliche Verknüpfung von Sehen und Hören wird irritiert, Maßstäblichkeit undDimension von Gesehenem und Gehörtem verschiebt sich. Man sieht von außen
und empfindet ein akustisches Innen. Das innere Hören wird zu einem erinnernden Hören, eine Besinnung auf allen Nachhall von Klängen und Echos, die in der Geschichte der Kompressorenhalle je erklungen sind.
Solchermaßen die Wahrnehmung durch Irritation anzuregen und zu verfeinern, ist hier vorrangig eine k0nstlerische Ambition. Ihre Umsetzung gelingt nur im Respekt vor der Natur des Hörens und der exakten Physik des dreidimensionalen Klanges und seiner Wiedergabe. Glücklicherweise habe ich zum rechten Zeitpunkt Dipl.-Ing. Werner Schaller als Projektpartner gewinnen können. Er hat das hier zur Anwendung kommende dreidimensionale Aufnahme- und Wiedergabeverfahren am Institut für Kommunikationswissenschaft der Technischen Universität Berlin mitentwickelt. Das Verfahren wird als Orthophonie bezeichnet und wurde 1992 der Öffentlichkeit erstmalig vorgestellt.

R. L.